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Hartz IV als neoliberales Herrschaftsinstrument

Von Christian Gielow, Hamburg
Lektorat: Jaqueline Chantalle Müller


Seit der Agenda 2010 geht es zwar der Wirtschaft und den Reichen deutlich besser, allerdings ging es ihnen auch zuvor nicht schlecht. Den Bürgern und den Arbeitnehmern bleibt im Gegenzug seit der Agenda 2010 immer weniger von dem was sie erarbeiten. Gewinner sind die Reichen und die Konzerne. Vieles weist darauf hin, dass die Agenda 2010 genau dafür gemacht wurde.

pixabay by asimina_

Ohne ernsthaften Widerstand umsetzbar, wurde die Agenda 2010 durch die mentale Knebelung der Arbeitnehmer über das Angstgespenst Hartz IV. In Anbetracht der Beharrlichkeit nichts an den wesentlichen Schieflagen im System Hartz IV zu ändern, darf man der Politik und ihren "Beratern" wohl Absicht unterstellen. Dieses Gesetz wurde eben dafür umgesetzt, um zugunsten der Wirtschaft Billiglöhne durch Steuergelder zu subventionieren. Unter Bruch von Verfassung und Verletzung von Grundrechten, werden Menschen systematisch gezwungen wirtschaftlich nicht tragfähige Arbeit und unsichere Arbeitsverhältnisse in der Zeit- und Leiharbeit anzunehmen.

 

Hartz IV hat im Jahr 2019 (Stand 11. November) mit 10 Milliarden EUR wirtschaftlich nicht tragfähige Unternehmen durch staatlicher Bezuschussung von Lohndumping unterstützt, während Bedürftigen vermittelt wird, sie hätten ihre Bedürftigkeit um jeden Preis zu reduzieren. Ihnen wird suggeriert, dass es moralisch besser sei seine Haut unter Wert zum "freien Markt" zu tragen, als "faul auf dem Sofa zu liegen". Das ist schwarze Pädagogik gegenüber erwachsenen Menschen, unterfüttert durch Sanktionen und Angst. Da darf man durchaus die Vermutung haben, dass in der Summe dieser Aspekte eine Absicht erkennbar wird.

 

Die Jobcenter arbeiten direkt mit Leih- und Zeitarbeitsfirmen zusammen. Sie führen den Firmen unter Sanktionsandrohung potenzielle Mitarbeiter zu. Diese fallen in die menschliche Verfügungsmasse, mit der die deutsche Wirtschaft flexibel gehalten werden soll - so die durchaus nachvollziehbare Begründung. Das dies am Ende zum Wohle der Bevölkerung sein soll, hat sich nicht bewahrheitet. Die Idee, dass es die unteren Sektgläser füllte, wären die Oberen nur genügend gefüllt, hat sich als ökonomische Lüge erwiesen und dient der Umverteilung von unten nach oben.

 

Unter diesem Versprechen haben Gewerkschaften und Arbeitnehmer Lohnstopps in Kauf genommen, in der Annahme, es ginge am Ende allen wirtschaftlich besser. 

 

Zeit- und Leiharbeit = Moderner Sklavenhandel?

 

Nebst diesem Werkzeug der ökonomischen Er- und Auspressung wird der Sektor Zeit- und Leiharbeit immer weiter ausgebaut. Solche Arbeitsverhältnisse schaffen keine sichere Existenzbasis und sorgen für Angst. Jedoch - wer Angst hat, wird schneller krank. 

 

Firmen die solche Verhältnisse für ihre Existenz brauchen sind wirtschaftlich nicht tragfähig. Eine Subventionierung von Billiglöhnen sollte es nicht geben. Diese und die zusätzliche Abhängigkeit von der ARGE macht die Betroffenen erpressbar und dauerhaft krank. Die Gewinne aus der Billigarbeit werden privatisiert, die Verluste und Kosten durch kranke, ausgebrannte Menschen, die Gelder, mit denen das alles bezuschusst wird, vergesellschaftet. Somit finanziert der Arbeitnehmer und Steuerzahler Lohndumping plus der daraus resultierenden Kosten für gesundheitliche und psychosoziale Schäden.

 

Die Agenda 2010 übt allerdings nicht nur auf Arbeitslose einen immensen Druck aus. Der Arbeitslose wird instrumentalisiert, um Menschen die noch in Brot und Lohn stehen ein Schreckgespenst vorzuführen. Mit dem Schreckgespenst der Sorge um Arbeitsplatz und Status, werden sie alles tun, alles in Kauf nehmen, um dies nicht zu verlieren. So werden sie letztendlich gefügig gehalten – um Himmels Willen nicht meutern.  [Das Ganze richtet sich noch nicht einmal gegen die von der Agenda 2010 Betroffenen, die ist nur das Werkzeug, mit eine andere gesellschaftliche Schicht gefügig gehalten wird.] In Frankreich haben sich die Bürger erhoben. Bei uns ist es offenbar noch nicht weit genug um sich zu wehren. Sich wehren? Wo gegen eigentlich?

 

Die Geiselnahme des "Mittelstandes"

 

Hartz IV ist eine Drohgebärde gegen den Mittelstand: "Das droht dir, wenn Du nicht weiter funktionierst , nicht jede Einschränkung und Beschneidung von Arbeitnehmerrechten hin nimmst - sonst ist deinetwegen die Wirtschaft nicht mehr konkurrenzfähig - und DU verlierst dann alles!"

 

Ob bewusst mit dieser Wirkung eingestellt oder Ergebnis eines inkompetenten Systems, bleibt das angstauslösende Stigma wirksam. "Die da, die faul auf dem Sofa liegen, für die gehst Du arbeiten!" Dieses von Politik und diversen Medien geschaffene Bild des verantwortungslosen Schmarotzers funktioniert hervorragend, denn zu diesen unmöglichen Leuten möchte man nicht gezählt werden. 

 

Hier wäre also unbedingt Aufklärung und Gegenwehr von Nöten: Erkläre den Bürgern der vermeintlichen Mittelschicht, dass sie tatsächlich bereits abgestiegen sind und Millionäre, wie Friedrich März, keine Mittelschicht darstellen - so wenig müde der Mann auch wird, immer wieder damit zu kokettieren.

 

Erkläre ihnen den neoliberalen Staatsstreich und was er mit ihnen und ihrem Denken gemacht hat: https://der-neoliberale-staatstreich.jimdo.com/ [wird laufend erweitert]. Verstehe, enthülle und erkläre anderen die neoliberale Rhetorik, ihre Wortbilder, Frames und deren Konsequenzen für mindestens 90% von uns. Entwickle Wortwaffen, baue eigene Frames auf und demaskiere die toxischen Begriffe, die durch die Neoliberalen gekapert und umgedeutet wurden. Stelle neoliberale Stiftungen, Think-Tanks und deren Aktivitäten sowie Zusammenhänge zum Alltagsgeschehen bloß und erreiche deren Schließung. Demaskiere die neoliberalen “Berater” und erreiche deren Entmachtung.

 

Der Mittelstand bedeutet seit jeher ein wesentliches Gewicht, bezüglich tiefgreifender, gesellschaftlicher Veränderungen. Ob nun im Positiven – wie die Verbreitung der Fähigkeit zu lesen, zu schreiben, der Druckkunst, die de facto Erfindung eines Massenmediums gegen den Widerstand von Kirche und Eliten, die französische Revolution - oder im Negativen – wie die zerstörerische Herrschaft der Nazis, sowie die nicht minder antihumane, heutige Herrschaft der wirtschaftsradikalen, neoliberalen Ideologie - nichts wäre und ist ohne Akzeptanz oder gar Unterstützung durch die “Mittelschicht” möglich.

 

Diesem “Mittelstand” muss klar werden, dass er durch die neoliberale Ideologie parasitiert und durch „Psychologie der Massen“ ruhig gehalten wird. Am Ende wäre er aber das notwendige Gewicht, von dem es einen nicht einmal allzu großen Anteil bräuchte, um der neoliberalen Wirtschaftsdiktatur ein Ende zu bereiten.

 

Momentan stützt das vampirisierte Opfer “Mittelstand” seinen Parasiten, da ihm suggeriert wird, dass es dazugehört und es alles verlöre, würde sich etwas ändern. Der Mittelstand ist Geisel der Suggestion einer Symbiose.

 

Das Gespenst der “Umverteilung” zu beschwören, die einen Großteil der Mittelschicht gar nicht träfe, ist ein hervorragendes Instrument, um die Mittelschicht gegen die Regulierung von Mietwucher aufzubringen, obwohl dieser sie selber hart trifft. Mit ähnlichen Framings gelingt es wichtige Teile der Bürgerschaft gegen eine tatsächlich gerechte Gestaltung unserer repressiven Sozialsysteme, Vermögens- und Spekulationssteuer und einigem anderen aufzubringen. Ein bewährtes Mantra lautet hier: „Wie kann man nur für Regulierung von “Privateigentum” sein? Das ist eine Beschneidung der “Freiheit!“ 

 

Die Sprache und die Bewusstmachung ihrer subtilen, aber gewaltigen Wirkung ist ein wesentlicher Schlüssel, um den Mittelstand zu wecken und ihm diese Macht vor Augen zu führen.

 

Wer sich tiefer mit dem Thema Neoliberalismus und seinem alles durchwuchernden Myzel befasst, stößt schnell auf die Bedeutung der Sprache und der inneren Bilder, welche die Neoliberalen bereits durch ihre Denkfabriken, wie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), beeinflusst haben.

 

Fazit:

 

Wem die Dumpinglöhne, die Erosion grundlegender Rechte der Arbeitnehmer, die indirekte Erpressung des Mittelstandes nutzen, ist bekannt.

Wie dies mittels Raub bürgerlicher Grundrechte durchgesetzt wird, lässt sich auch in Deutschland feststellen. Anhand der in Frankreich ausufernden Polizeigewalt gegen berechtigte und mehrheitlich gestützte Proteste der Gelbwesten, wird uns brutal vor Augen geführt, was es zu verhindern gilt.

Mit Schrecken blicken wir auf eine neoliberale Autokratie, die sich staatliche Institutionen und Gesetze zu Herrschaftsinstrumenten umbaut, oder sich selber welche schafft, um auf bürgerlichen Widerstand mit Gewalt zu antworten. Der Bürger, der für seine Grundrechte eintritt, wird zunehmend mit einer Gewalt konfrontiert,  welche einer Diktatur, aber keinem Europa das Freiheit, Demokratie und "europäische Werte" für sich in Anspruch nimmt.

 

Wenig überraschend ist, angesichts des Nutznießens der ökonomischen Erpresser, dass wir bei der Durchsetzung von Hartz IV und derartigen "Reformen" auf die immer gleichen Berater, Lobbyisten und Strippenzieher stoßen. Wie überall, wenn es um "notwendige Reformen" geht, mehren auf diesem Wege immer die gleichen, kleinen Kreise ihren Reichtum - auf Kosten der Mehrheit.

 

Zusammenfassend kann leider nur festgestellt werden, dass unter Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 ein Herrschaftsinstrument geschaffen wurde, um eine ganze Gesellschaft ökonomisch auszuplündern und somit zu Gunsten einer Minderheit Eigentum von unten nach oben umzuverteilen.

 

Mit den gewonnenen Erkenntnissen sollten (künftige) "Reformen" und Verschärfungen kritischer betrachtet werden, so wie z.B. das Polizeigesetz, das jüngst gegen eine bürgerliche Mehrheit umgesetzt wurde, die EU-Anti-Terrorrichtline L.I.B.E. oder das EU-Überwachungsabkommen INDECT - um nur wenige zu nennen.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Detlef (Dienstag, 26 November 2019 09:52)

    Guter Beitrag. Kann ich nur zustimmen. Neue Idee des dumpings sind freelancer. Zb. Telekom schmeißt massiv Leute raus und stockt mit freelancer auf.

  • #2

    Stefan Winczencz (Dienstag, 26 November 2019 21:15)

    Wundert das jemanden??

    Mal abgesehen von den Rechtschreibfehlern - ja, mit so etwas kann ein Artikel stehen und fallen - wird hier die Wahrheit gesagt!