Der Neoliberale Staatsstreich

Die Mont Pèlerin Society - Von der sozialen Marktwirtschaft zur weichen Diktatur


13. Die geschichte des Neoliberalismus & seiner Einflüsse

Der Begriff Neoliberalismus ist ein etwas vages Konzept. Es ist ein großer Denk-Hintergrund, der das Wirtschaftssystem verändert, zu einem System was man Finanzkapitalismus nennen könnte, das unter anderem zur Krise 2007/2008 führte. Wenn über das Thema Neoliberalismus gesprochen wird, muss man beim Liberalismus beginnen. 

Was bedeutet Liberalismus?
Der Liberalismus kann anhand von drei verschiedenen Ausrichtungen bezeichnet werden. 
Zum einen ist der Liberalismus die große Sozialphilosophie der Neuzeit. Er wurde in der sogenannten Zeit der Aufklärung (1650 bis 1800) entwickelt. 
Wichtige Vertreter zu dieser Philosophie sind John Locke (1632 - 1704), David Hume (1711 – 1776) und Adam Smith (1723 - 1790). 
Des Weiteren ist der Liberalismus die große Ideologie des Bürgertums, als Teilbereich einer Gesellschaft, welches die Macht erobert und alle Menschen als Bürger definiert. 
Die Definition des Bürgertums war ein gesellschaftlicher Aufstieg, da in der Zeit der Neoklassik und Aufklärung der Bürger an sich nur ein kleiner Teil der Gesellschaft war. Die Ideologie des Bürgertums richtet sich gegen den Feudaladel und kämpft gegen den königlichen Absolutismus. 
Im Mittelalter gab es die Feudalherrschaft der Adeligen (Kaiser, Könige, Grafen, Landesherren usw.). 
Diese Herrschaft wurde durch den Territorialstaat abgelöst, welcher sich als absolutistischer Staat zeigt. Ein absolutistischer Staat hat ein Machtzentrum, welches sämtliche Befugnisse und Rechte ausnahmslos für sich beansprucht. Das Bürgertum kämpft also gegen diese Beanspruchung von Macht an. 
Man könnte also sagen, der Liberalismus ist zu dieser Zeit immer gegen ein staatsorientiertes Machtzentrum ausgerichtet. Daher wird auch immer von Freiheit gesprochen, wenn es um den Liberalismus oder den Neoliberalismus geht. 
Als Letztes ist der Liberalismus eine große Handlungsorientierung. Unter dem Schlagwort Freiheit geht es um die Ausrichtung zur Autonomie, für Selbstbestimmung und gegen den Obrigkeitsstaat. 
Ganz besonders stark ist diese Ausrichtung in den Vereinigten Staaten von Amerika zu erkennen. Viele europäische Auswanderer kamen aus ganz unterschiedlichen Gründen in die Neue Welt: ökonomische Gründe wie z.B. die Hungersnot in Irland, oder religiöse Gründe, und eben auch die Flucht vor der Obrigkeit. 
Die bedeutungsvollsten Ereignisse aus dieser Zeit sind die französische Revolution (1789 – 1799) und die amerikanische Unabhängigkeitserklärung (1776). Die amerikanische Verfassung diente als Vorbild für viele weitere demokratische Verfassungen weltweit.
Der Liberalismus offenbart sich in diesen Phasen des 18. und 19. Jahrhunderts als Zwilling von politischem und ökonomischem Liberalismus.
Der politische Strang bedeutet politische Freiheiten wie Menschenrechte oder Konzepte der Demokratie wie das Wahlrecht. 
Der ökonomische Strang bedeutet ein nicht vom Staat gelenktes Wirtschaftssystem, wie eine freie Marktwirtschaft, freier Kapitalismus und freier Handel, wobei der politische als auch der ökonomische Liberalismus nicht unbedingt deckungsgleich sind. Es gab Perioden, wo beide zusammenwirkten und wo beide auseinanderdrifteten. 
Bei Adam Smith zum Beispiel gingen der politische und der ökonomische Liberalismus Hand in Hand. Der eine begründete und rechtfertigte den anderen. Das bedeutete, viele französische Aufklärer haben politisch liberal und dadurch auch ökonomisch liberal gedacht, umgekehrt genauso. 
Es gilt aber eine strenge Unterteilung zwischen dem politischem und dem ökonomischem Liberalismus zu beachten, weil der spätere Neoliberalismus, auch Marktradikalismus genannt, ein ökonomischer Liberalismus ist, aber kein politischer. 
Das heißt, in der neuen Formulierung des Liberalismus geht es immer nur um den Markt und nie um die Politik. 
Das erste Land, in dem der Neoliberalismus in dieser Form und Ausrichtung hervorkam, ist das von Augusto Pinochet diktatorisch regierte Chile von 1974. 
Der Neoliberalismus konnte sich dort deswegen durchsetzen, weil der politische Strang keine Bedeutung hatte. Daher auch in einer Diktatur, weil dort Politik keine Rolle spielt. Alle großen Denker dieser Zeit wie z. B. Hayek und Friedman reisten nach Chile, machten dem Diktator Pinochet ihre Aufwartung und sahen diese Wirtschaftsform als kompatibel an. 
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein reiner klassischer Liberalismus, der beide Ausrichtungen von Ökonomie und Politik beinhaltet, in einer Diktatur überhaupt nicht möglich gewesen wäre, weil man spätestens bei Themen wie Menschenrecht und Wahlrecht in Konflikt gekommen wäre. 
Zwei Länder, die im Durchbruch des klassischen Liberalismus eine große Rolle spielten, waren die Niederlande und das Königreich England. 
Die Niederländer führten einen langen Unabhängigkeitskrieg gegen das Königreich Spanien. Die Republik der sieben vereinigten Niederlande war ein radikal dezentralisierter Staat, d.h. ein Staatskonzept, das ganz bewusst im Gegensatz zu dem absolutistischem Zentralstaat konzipiert wurde. 
Die Niederlande waren somit ein Gegenkonzept, eine lose Föderation. Ein relativ schwacher Staat mit großen ökonomischen und politischen Freiheiten. Handwerker und Händler dominierten dieses Staatsgebilde, es herrschte weitgehende Pressefreiheit, religiöse Toleranz und ein Rechtssystem, das auf der Herrschaft des Rechtes, des Besitzes und auf Verträgen basiert. 
Diese Herrschaft des Rechtes, das sogenannte „Rule of law“, spielt im Neoliberalismus eine sehr wichtige und große Rolle. Es bedeutet, es gibt ein garantiertes Rechtssystem, das die Institution von privatem Besitz und Eigentum rechtlich garantiert und durchsetzt. 
Die Niederlande waren ungeheuer erfolgreich mit ihrem Konzept. Im 17. Jahrhundert zählten sie zu einem der größten See- und Wirtschaftsmächte mit niedrigen Steuern, ganz niedriger Arbeitslosigkeit, mit Kolonien in Indien, Indonesien und Südamerika. 
Am berühmtesten war die East-Indian Company, die den gesamten Raum zwischen Japan, Indien und China beherrschte und dafür so gut wie kaum Militär benötigte. Man könnte sie als ersten multinationalen Konzern betrachten, der die Gewürzroute von Hinterindien bis nach Europa kontrollierte.
Das Königreich England hingegen verfolgte eine ganz andere Tradition. 
Im 16. Jahrhundert setzte sich dort eine protestantische Arbeitsethik durch, die sich ebenso gegen den Feudaladel richtete. Das hieß, ein Teil der Diskurse zwischen Bürgern und Adeligen war ein moralischer Diskurs mit dem Grundtenor: wir sind die Bürger, wir arbeiten hart, wir haben eine Arbeitsmoral, wir investieren und sind tüchtig und wir schaffen Werte für die Allgemeinheit. 
Eine ideologische Selbstverständlichkeit gegenüber den Adeligen, die man als parasitäre Schmarotzer darstellte, die nur aufgrund ihrer angeborenen, nicht begründbaren Vorrechte in Saus und Braus lebten, nicht arbeiteten und Luxus besaßen - also der Kampf zwischen moralischer und amoralischer Klasse. 
Die Zentralmacht in England war historisch gesehen wenig entwickelt. Das Parlament bekam sehr früh Rechte gegenüber dem König/der Königin. 1640 erkämpfte sich das Parlament zum Beispiel das Recht, nicht mehr aufgelöst zu werden, 1642 wurde sogar auf Anordnung des Parlaments ein König hingerichtet (König Karl I.). 
König Karl II. restaurierte die Monarchie in der Revolution von 1688 und musste sich danach vom Parlament legitimieren lassen. Die Schriften von John Locke beziehen sich im hohen Maße auf diese Revolution, indem er die Spannungen zwischen König und Parlament diskutierte. Er stellte ebenso die Frage, welches Recht eine Bevölkerung im Liberalismus hat, sich gegen die Obrigkeit zu erheben. 
Im Neoliberalismus ist eine solche Denkweise nicht mehr vorgesehen.
Nach dem englischen Bürgerkrieg entstand eine Schicht liberaler Denker, die so genannten „Levellers“ (die Gleichmacher), die 1647 ein Manifest niederschrieben, in dem sich die Bürger anthropologisch definierten. Es wurde ein Konzept für alle Menschen entwickelt, welches auf dem Naturrecht basiert. 
Eine Naturrechts-Philosophie bedeutet, jeder Person werden natürliche Rechte zugesprochen. Diese Rechte sind von Gott gegeben und besitzen Vorrang vor den Sonderrechten der Adeligen. 
Ansätze dieser Philosophie finden sich auch in der französischen Aufklärung wieder, allerdings nicht so ausgeprägt wie in der englischen Aufklärung. Beide aber gehen nach dem Prinzip, dass der Mensch ein Vernunftwesen ist. Weil jeder Mensch Vernunft besitzt, begründet er somit seine natürlichen Rechte. 
In der französischen Aufklärung folgte man der Prämisse, da alle Menschen Vernunftwesen sind, werden sie durch die Vernunft befähigt und legitimiert, jede Art von sozialer Grundordnung in Frage zu stellen. Demnach darf der Mensch sich von der sozialen Tradition lösen, darf darüber nachdenken, welche Staatsformen die richtigen für ihn sind, nach welchen Vernunftprinzipien sich eine Gesellschaft entwickeln und gestaltet werden kann, und versucht dies dann in einem politischen Projekt umzusetzen. 
Dieser Gedanke der Vernunft-Philosophie ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig zu verstehen, weil dieses Naturrecht oder auch Vernunftrecht im Neoliberalismus jedem Menschen abgesprochen wird. 
Ein ganz wichtiger Punkt dabei ist die Kategorisierung von Gesellschaften, denn die Auslegung und das Verständnis einer Gesellschaft ist im klassischen Liberalismus eine ganz andere als im Neoliberalismus, da im Liberalismus Ökonomie und Politik mehr oder weniger zusammenspielen bzw. sich ergänzen, während im Neoliberalismus nur die Ökonomie vorherrscht und die Politik keinerlei Bedeutung hat.
Ein wichtiger Vertreter dieser liberalen Theorie ist John Locke. Er gilt als größter Sozialphilosoph der Neuzeit, der wichtigste liberale Philosoph.
John Locke hat eine ganz große Wirkungsgeschichte, die in einigen Bereichen ziemlich unterschiedliche Folgen hatte, auch im Bezug auf die Ökonomie. Er entwickelte grundlegende Modelle des Menschen, der Gesellschaft und des Staates. Er gilt als Mitverfasser der Grundlegenden Konstitution von Carolina, in der Locke eine wichtige Rolle übernahm. Sie gilt als Muster-Verfassung für einen demokratischen Staat. 
Locke entwickelte ebenso die Theorie, dass Staat und Religion getrennt werden müssen. Ein jeder Bürger hat das Recht, seine Religion frei zu wählen oder frei zu wechseln und an diese zu glauben. Dieser Grundgedanke fand sich später in der französischen Revolution wieder. In Frankreich wird heute noch peinlich genau darauf geachtet, dass religiöse und staatliche Institutionen getrennt sind. In der heutigen Ausrichtung der USA ist dies, trotz anderslautendem Grundsatz in der amerikanischen Verfassung, nicht mehr der Fall. Niemand kann in den Vereinigten Staaten ein Amt bekleiden, wenn er sich vorher nicht religiös bekannt hat.
Auch Locke vertrat die Meinung, dass jeder Mensch von Geburt an mit bestimmten Rechten ausgestattet ist, so wie in der Naturrechtsphilosophie. Jedoch erweiterte er seine Theorie dahingehend, indem er ein Schutzrecht auf Eigentum definierte. In diesem liberal bürgerlichen Denken spielte das persönliche Eigentum eine ganz zentrale Rolle. Ebenso wird das Recht auf Leben darin definiert, dass jeder Mensch ein Eigentumsrecht auf sich selbst besitzt - eine Art Besitz-Eigentums-Individualismus. Jeder Mensch hat somit das Recht auf sein eigenes Leben. 
Die Aufgabe einer Regierung ist es, dieses breit definierte Eigentumsrecht zu beschützen. Wenn eine Regierung dieses Recht nicht mehr schützt, dann hat die Bevölkerung das Recht, auf Grundlage dieser naturrechtlichen Philosophie einen Aufstand gegen die Obrigkeit durchzuführen, um sie ihres Amtes zu entheben. 
Die Befähigung der Bevölkerung zu diesem Recht gibt es im Neoliberalismus nicht. Es wird immer nur negativ interpretiert. 
Ein weiteres wichtiges Werk von John Locke ist ein Essay bezüglich des menschlichen Verständnisses, worin er eine Art philosophisches Bild des Menschen aufzeichnet. Ein Grundgedanke ist, dass der menschliche Verstand bei der Geburt noch "leer" ist ("white paper"). 
Die Idee ist, dass Moral nicht aus dem Innern des Menschen kommt, sondern ein äußerer Einfluss ist. Menschen müssen moralisch erzogen werden, und entwickeln nicht wie bei Adam Smith von innen heraus eine Moral. Moral wird bei der Idee John Lockes immer von außen aufgezwungen.
Die größte Wirkung des liberalen Denkens gab es in den englischsprachigen Kolonien Nordamerikas. Eine große Rolle hat das Konzept der Selbstregulierung gespielt. Es bedeutet, dass unter bestimmten institutionellen Bedingungen verschiedene Gegenstandsbereiche einer Gesellschaft der Selbststeuerung überlassen werden können. 
Es braucht keine Obrigkeit, die reguliert, wenn es zum Beispiel um die Idee des Staates geht. Ein demokratischer Staat ist ein sich selbst regulierender Staat mit Gewaltenteilung und demokratischen Rechten wie Wahlen. Ein solcher Staat braucht keine übergeordnete Behörde, die eine Wahl steuert. 
Im Bereich der Ökonomie ist die zentrale Idee von Adam Smith die der Selbststeuerung, der Selbstregulierung, die der unsichtbaren Hand. Unterschiedlich ist, in welcher Weise in diesem Konzept die Bereiche der Wirtschaft, der Gesellschaft und des Staates miteinander interagieren, wobei die Grundidee der Selbststeuerung immer die gleiche ist. 
Diese Idee war eine neue Form des Systembegriffs, den die Bürgerlichen erfanden und der sich schließlich und endlich im Denken durchsetzte. Die Gesellschaftsform in Nordamerika war eine adelslose Gesellschaft, wo z. B. die Ranchbesitzer und deren Cowboys praktisch selbstreguliert agierten, trotz einer Zentralregierung. Denn diese Regierung war gegenüber dem Besitzer der Ranch schwach und hatte dort wenig Befugnisse. 
Dieser kulturelle Hintergrund wirkt bis heute in den USA noch nach. In Europa kennt man solche Hintergründe nicht, weil hier ganz andere Vorstellungen von Staats-Konzepten Anwendung fanden. Diese Skepsis gegenüber einer Zentralregierung stammt aus dem nordamerikanischen kulturellen Hintergrund, der im marktradikalen, neoliberalen Gedanken transportiert wird. Man braucht eine Regierung, aber diese darf nicht stark sein. 
Wenn Rechtskonservative gegen das Krankenversicherungssystem Obama-Care argumentierten, bedienten sie sich genau diesem kulturellem Hintergrund. Ein empfundenes, von der Zentralregierung aufgedrücktes Zwangssystem lehnt man ab, weil sowohl die Entscheidung als auch Art und Umfang einer solchen Versicherung selbst bestimmt werden soll. Das Leitmotiv dieser Ansicht liegt im Begriff “Selbsthilfe”. 
Der spätere amerikanische Liberalismus wurde in seiner Breite von der Mittelschicht getragen - von Gläubigen und ungläubigen Menschen, von Freidenkern und Traditionalisten. Das fundamentale Ziel war dabei, den Freiraum der Gesellschaft zu erweitern und den Raum von Staat und Zwang zu verkleinern. Sprich, einer der Hintergründe im liberalen Denken ist es, den Staat mit Zwang zu assoziieren. 
Dieses Denken, diese Assoziation wurde von den Marktradikalen von Hayek und Friedman wieder aufgegriffen und in einer ganz neuen Weise präsentiert. Heutzutage wird die Frage gestellt, ob man mehr Markt oder mehr Staat haben will. Genau diese Nebenbedeutungen schwingen bei dieser populär gestellten Frage mit. Der Markt wird als Freiheit verstanden, der Staat als unfrei, als eine Art Zwangssystem.
Einfach betrachtet begann der Liberalismus im 17. Jahrhundert und setzte sich bis Anfang des 19. Jahrhunderts in vielen Ländern entscheidend durch. Die Durchbrüche sind die französische Revolution, die amerikanische Verfassung und in England bekamen die Bürgerlichen eine Mehrheit im Unterhaus (1834). 
Das Unterhaus war die legislative Macht im demokratischen System Englands, während das Oberhaus nur eine Art Kontrollfunktion inne hatte. Dadurch ergibt sich in der Gesamtbetrachtung zum Liberalismus eine ganz andere Situation. 
Auf der einen Seite gab es die industrielle Revolution hinsichtlich sozialer Belange, die sich in vielen Strömungen wiederfanden - anarchistische, sozialdemokratische oder marxistische Strömungen, in denen grundsätzliche Kritik am Kapitalismus entwickelt wurde. 
So wurde der Liberalismus als Ideologie des Bürgertums zur Herrschaft der lohnabhängigen Arbeitnehmer interpretiert, welche letzten Endes nach der Oktoberrevolution als Staatsform in Russland etabliert wurde. 
Ebenso gab es eine nationalistische Strömung im 19. Jahrhundert, welche sich gegen den Imperialismus richtete. Die großen Kolonialmächte rieben sich aneinander, woraus dann der Erste Weltkrieg entstand. 
Daraus ergab sich der erste europäische Sozialstaat unter Bismarck, der ebenso als Kritik an liberalen Konzeptionen verstanden werden kann. Es zeichnete sich ein Trend ab, der durch immer mehr staatliche Interventionen durch die USA im ersten Weltkrieg widergespiegelt wurde, und sich ebenso durch nationalistische Demagogen in Europa in Form von Faschismus und Nationalsozialismus weiter ausbreitete. 
Man kann sagen, dass im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts der Liberalismus an seinem Tiefpunkt angelangt war. Die Formkurve des Liberalismus zeigt sich also im 17. Jahrhundert bei der Entstehung, im 18. Jahrhundert im Höhepunkt, im 19. Jahrhundert setzt er sich durch, kommt durch verschiedenste Strömungen immer mehr ins Gerede und fällt in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts auf seine tiefste Phase hinab. Viele Intellektuelle waren in dieser Zeit antikapitalistisch eingestellt, wodurch sich ebenso eine intellektuelle Strömung ergab, die sich mit dem Gedanken verband, dass der Kapitalismus überhaupt keine Zukunft mehr habe. 
In dieser Zeit passierten zwei wichtige geschichtliche Ereignisse. 
Zum einen war das die russische Oktoberrevolution (1917) und zum anderen die weltweite Wirtschaftskrise (1929). 
In Russland setzte sich ein Kommunismus durch, der einen unheimlichen Schock im liberalen Denken auslöste. Die ersten neoliberalen Denker reflektierten diese Situation und stellten die Frage, wie so ein Ereignis überhaupt passieren konnte. 
Die großen Verwerfungen in Europa und den USA durch die Weltwirtschaftskrise führten zum zweiten Schock und einer ungeheuerlichen Diskreditierung des liberalen Denkens. 
Im Hintergrund ergaben sich Konzepte wie der Manchester-Liberalismus (auch Manchester-Kapitalismus genannt), dessen ökonomische Anhänger und Vertreter des Liberalismus zur damaligen Zeit immens diskreditiert wurden. Als Beispiel zeigt sich dies in der Person Irving Fisher, einem der prominentesten Ökonomen der damaligen Zeit, der wenige Tage vor dem großen Börsencrash in New York behauptet hatte, dass ein solcher Crash überhaupt nicht möglich sei. Durch den Einsatz seines eigenen Vermögens und den totalen Verlusten durch den Kursverfall diente er als Paradebeispiel dafür, dass liberale Ökonomen ausgedient haben. 
Der Neoliberalismus sah sich vor zwei Probleme gestellt. 
Erstens, eine Antwort zu finden auf die Oktoberrevolution in Russland. Eine Antwort, über eine neue Gesellschaft bzw. die Triebkräfte einer neuen Gesellschaft nachzudenken. Wie kommt gesellschaftliche Entwicklung zustande, und wie ist es möglich, dass sich sowas wie Kommunismus in einer Gesellschaft durchsetzen konnte? 
Das zweite Problem ergab sich aus der Erkenntnis, dass der Manchester-Liberalismus gescheitert war. 
Man zog allerdings nicht den Schluss, den ein anderer Denkansatz (Keynesianismus) daraus entwickelte; dass der Staat regulativ eingreifen müsse, was sich bis in die 1970er Jahre als Standard-Gedanke in den großen kapitalistischen Ländern durchsetzte. 
Daher zielte man auf die zweite Frage, dass über eine neue Art von Staat und Wirtschaft nachgedacht werden müsse, und verfolgte eine andere Theorie als Keynes. 
Diese zwei Fragen - wie konnte es zum Kommunismus kommen und wie reagiert man auf das Scheitern des Manchester-Liberalismus - wurden als Denkansatz genommen und bildeten den Beginn der neoliberalen Denkweise in der Ökonomie.

Von Christian Jakob, Witzhelden/NRW 29.12.2017

Lektorat Ann Porann und Sven Ja