Der Neoliberale Staatsstreich

Die Mont Pèlerin Society - Von der sozialen Marktwirtschaft zur weichen Diktatur


07. Auswirkungen neoliberal beeinflusster Politik

Wie hat sich die Wirtschaft unter dem Einfluss des Neoliberalismus verändert?

Die Art, wie das Wirtschaftssystem in sich strukturiert ist, hat sich in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, der Blütezeit des Keynesianismus, verändert. Manche Wissenschaftler sprechen auch vom “Fordismus”. 
Mit der neoliberalen Wirklichkeit, die oft auch als Finanz-Kapitalismus oder Finanzmarkt-Kapitalismus umschrieben wird, zeigt sich eine klare und zentrale Unterscheidung in der Wirtschaft. 
Anhand einer einfachen Betrachtung hinsichtlich einer Parallelität von Löhnen und Produktivität, als Oberbegriff "Arbeitsproduktivität", können diese Unterschiede festgestellt werden. Die Löhne sollen sich als wirtschaftspolitische Zielgröße im Ausmaß der Arbeitsproduktivität erhöhen. 
Ein Beispiel: Angenommen, die Arbeitsproduktivität steigt um 4%, dann steigt auch das Einkommen um 4%. Daraus ergeht dann, was kollektiv mehr produziert wird, wird in einer gewissen Weise fair verteilt. Die Gewinne können in einer Höhe von 4% steigen, die Löhne können um 4% steigen. 
Diese Anwendung von Wirtschaftspolitik galt in den goldenen Jahren des Keynesianismus. Starke Gewerkschaften waren der Gegenpol zum Unternehmer. Während die Gewerkschaften für höhere Löhne standen, wollten Unternehmer aus betriebswirtschaftlichen Gründen ihre Kosten drücken. 
Des Weiteren gab es einen starken Staat, der auf gewisse Stabilität achtete, was den gesamtwirtschaftlichen Rahmen anging. Das Kennzeichen einer solchen Wirtschaftspolitik ist, dass die eigentlichen Gewinne im realen Sektor entwickelt werden und dort stattfinden. Es entsteht ein gesunder Kreislauf im Wirtschaftssystem. Die Gewinne der Unternehmer steigen, die Arbeitnehmer erhalten mehr Geld, und geben dieses im Konsum wieder dem Unternehmer zurück. Das Prinzip dieses Regelkreis ist eine sehr vereinfachte Umschreibung, wie das Wirtschaftssystem im Keynesianismus funktionierte.
In einem solchen Wirtschaftskreislauf brauchte es aber auch relativ regulierte Finanzmärkte. 
Eine Art dieser Regulierung war das Bretton-Woods-System, also fixe Wechselkurse bei Währungen. Das heißt, Störungen des Kreislaufs durch Devisenspekulationen fanden kaum statt. Global agierende Unternehmen bekamen dadurch eine gewisse Sicherheit, weil sich Wechselkurse nicht veränderten. Die Banken waren sehr stark reguliert. Besonders in den USA war dies damals der Fall, indem Investment-Banken von kommerziellen (Volks-)Banken strikt getrennt wurden. 
Es gab sogenannte Kapitalverkehrskontrollen, das waren Maßnahmen zur Beschränkung der Freiheit des internationalen Kapitalverkehrs. Hierzu gehörten Steuern auf Kapitalimporte bzw. Kapitalexporte, Mengenbeschränkungen, Genehmigungs- und Meldepflichten. 
Heute erinnert man sich beispielsweise kaum noch an die Zeit, wo Millionen von Geldern physisch in Koffern transportiert und transferiert werden mussten. Man könnte auch von einer Stakeholder-Ökonomie sprechen, sprich von Anspruchsgruppen, die von den unternehmerischen Tätigkeiten gegenwärtig oder in Zukunft direkt oder indirekt betroffen waren. Alles basierte auf einer Art Interessenausgleich. 
Und genau da wurde dieses Prinzip langsam verändert. 
Aus der Geschichte wissen wir vom Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems (1971), der erste freie und unregulierte globale Markt für Devisen entstand, und es folgten weitere Deregulierungen durch neue Arten von Finanzsystemen, oder neue Arten von globalen Märkten. 
Es entstand der Neoliberalismus als wirtschaftliche Epoche, der als ökonomische Sammlung von Theorien in der Mont Pèlerin Gesellschaft zusammengefasst betrachtet werden kann. Das geht von der Theorie der spontanen Ordnung (Friedrich A. von Hayek) und weiteren Finanzmarkttheorien, die einen gemeinsamen Marktgedanken haben, bis hin zur allgemeinen Gleichgewichtstheorie (Kenneth Arrow). 
Diese Theorien stammen teilweise beginnend aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, wurden ideell mit Gründung der MPS 1947 gebündelt und galten praktisch ein halbes Jahrhundert als geschätzte Minderheitenmeinung, und wurden in den 1970er Jahren hoffähig mit dem Durchbruch 1974 in Chile.
Des Weiteren kann man Neoliberalismus als wirtschaftspolitische Epoche beschreiben, in der marktradikale Ideen Staatsmacht wurden. Angefangen wie oben erwähnt 1974 in Chile unter Diktator Augusto Pinochet, weiter über Großbritannien 1979 unter Margaret Thatcher bis zu den USA 1980 unter Ronald Reagan. Letzten Endes kann man Neoliberalismus als Gesellschaftsformation einordnen, wo viele neoliberale Ideen fundieren und viele Bereiche der Gesellschaft als auch die gesamte Gesellschaft umdrehen. 
Mit der ursprünglichen ökonomischen Idee hat dieser Neoliberalismus in einer Gesellschaftsformation überhaupt nichts mehr gemein, was allerdings historischen Prozessen aus der Geschichte geschuldet ist. Der Neoliberalismus als wirtschaftspolitische Form, als Wirtschaftssystem, erhielt seine Dynamik aus den Finanzmärkten, welche sich exponentiell immer weiter entwickelten und schließlich in der Finanzkrise 2007/2008 explodierten. 
Ein Indiz dafür war, dass an diesem Punkt die realen Zinsen über dem Volkseinkommen lagen, das heißt, die hohen Profite wurden im Finanzsektor gemacht und nicht mehr wie ursprünglich im realen Wirtschaftssektor. 
Ein weiteres Indiz waren neue Finanzmarkt-Formen und damit verbundene enorme Hebelwirkungen, wodurch sich die Rolle der Zentralbanken veränderte. Während im keynesianischen System zuvor die Zentralbanken eine eher passive Rolle eingenommen hatten, kam ihnen im Neoliberalismus eine aktive Rolle zu. 
Diese Rolle war deswegen von Bedeutung, weil Zentralbanken außerhalb des politischen Systems agierten. Jetzt bekamen sie die Priorität der Inflationsbekämpfung, was besonders für Vermögens-Anleger ein wichtiger Aspekt war. Entgegen der Gründungsschrift der EZB, die keinerlei Konjunktursteuerung vorsah, sollte diese nun eingreifen und steuern. 
Die Gesamtheit der hohen Nachfrage kam nicht mehr aus dem realen Wirtschaftskreislauf, sondern wurde künstlich aus der Kreditschöpfung bzw. Geldschöpfung generiert. Die kreditfinanzierten Teile des Volkseinkommens standen im Vordergrund, was besonders durch die Lehman-Brothers in der Krise aufgezeigt wurde. Die kreditfinanzierte Nachfrage in den USA, die praktisch die gesamte Nachfrage darstellte, fiel wie ein Stein zu Boden und riss in nur 2 Monaten die globalen Märkte mit sich. Das Management in den Unternehmen strukturierte sich ebenfalls um und passte sich den globalen Markteigenschaften an. 
In der keynesianischen Epoche lag eine andere Art von Ethos und Fokussierung vor. Besonders in Deutschland konnte man diese Arten gut erkennen. Im umgangssprachlich “Rheinischen Kapitalismus” konnte man sehr gut sehen, dass sämtliche Banken in Deutschland de facto wie eine Hausbank fungierten. Auch große Banken wie die Deutsche Bank dienten in dieser Funktion den Unternehmen. Es gab Vernetzungen und Förderungen von Firmen, die sich ganz klar an ihrer Ausrichtung und Fokussierung darstellten. 
Das heutige Management ist dem internationalen Druck ausgeliefert, was einen neuen Druck auf Löhne, Bilanzen und Produktivität bedeutet. Das sogenannte Shareholder Value, der Aktionärswert ist geboren. Dieser Wert entspricht, vereinfacht gesagt, dem Unternehmenswert und dem davon abhängigen Kurswert der jeweiligen Aktien. Die Lohnsenkung per se wird als wirtschaftlicher Erfolg verkauft. Die Arbeitsproduktivität wird erhöht, indem die Löhne gesenkt werden, es entstehen riesige prekäre Arbeitsmärkte und es kommt zu Ausgliederungen und Rationalisierungen. Gleichzeitig hatten die Finanzmärkte ein explosives Ansteigen in der sogenannten Offshore-Ökonomie - Steueroasen. Ein riesiges Geflecht aus Regulierungen und Bestimmungen auf der ganzen Welt, wo es Teilen der Finanzmärkte gelang, vollkommen unsichtbar für Fiskus und Aufsicht zu werden. Dieses Netzwerk ist so undurchsichtig, dass bis heute die Größenordnung als auch die darin fließenden Geldströme nicht erfassbar sind. Dadurch sanken die steuerlichen Belastungen der Superreichen im drastischen Ausmaß, als auch die der Großkonzerne und Unternehmen. Colin Crouch beschreibt in seinem Buch (Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus - Postdemokratie II) diese Situation wie folgt.
“Es ist eine Revolution, wie in der Zeit vor der französischen Revolution. Der Adel hat sich der Steuerpflicht entzogen, er regiert total, die Bürger müssen die Steuern zahlen, aber haben nichts zu sagen.”
Es entsteht eine wachsende Ungleichheit. Alle Bereiche in den Märkten werden zentraler, ebenso im Wirtschaftssystem. In den globalen Finanzmärkten kristallisieren sich immer mehr die wichtigsten und entscheidenden Akteure heraus. Immer häufiger erscheinen Strukturen einer Pyramidenform, wo an der Spitze nur ganz wenige Entscheidungsträger sitzen.
Was bedeutet die jetzige Situation für das politische System? Eine einfache Gegenüberstellung wäre, wenn man Demokratie im Höhepunkt des Keynesianismus auf die eine Seite und Postdemokratie im Neoliberalismus auf die andere Seite stellt. Man könnte auch noch vereinfachter sagen - vorher / nachher. 
Vorher gab es eine traditionelle Parteipolitik. An erster Stelle steht die Parteiführung, dann kommen die Berater, dann Parlamentsabgeordnete, aktive Mitglieder, Anhänger, Stammwähler und zuletzt die Zielgruppe. Eine Zielgruppe, die angesprochen wird, besteht aus mehreren Interessen und Identitäten. Ein Bio-Landwirt hat eine bestimmte Identität und bestimmte Interessen. Diese sind aber nicht deckungsgleich mit denen eines Chemikers oder einem Industriemechanikers. Das heißt, es findet eine Interaktion zwischen Zielgruppe und Partei statt. Die aktiven Mitglieder einer Partei ergründen die jeweiligen Identitäten und Interessen und die Partei erstellt Konzepte, um diese Identitäten und Interessen zu bedienen. So entsteht eine Form von Interessenpolitik. In der neoliberalen Politik gibt es eine solche Interessenpolitik nicht mehr. 
Vorher hatten die Parteispitzen eine Art Firewall zur Wirtschaft. Das bedeutete nicht, dass es keine Kontakte in die Wirtschaft geben durfte, aber es war klar ersichtlich, dass es sich um zwei verschiedene Seiten handelte: Politik auf der einen, Wirtschaft auf der anderen Seite. Diese Trennung basierte auf Ethik. Es wurde ganz klar getrennt zwischen dem Ethos der Politiker und dem Ethos der Wirtschaft. 
Diese sogenannte Firewall gab es auch in anderen Bereichen. Das Verhältnis zwischen Politik und Militär war ebenso ethisch getrennt. Die Politik konnte mit dem Militär interagieren, ohne dass die Politik im ethischen Sinn pazifistisch oder militärisch eingestellt war. Es spielte keine Rolle. Gleiches galt auch zwischen Kirche und Politik. Ein Politiker konnte Kontakte zu Führungspositionen in der Kirche haben, ohne gläubig oder atheistisch zu sein. Es entsprach also einer neutralen Verbindung zwischen zwei Ethiken, wo es kein Pro oder Kontra gab. 
Im Neoliberalismus ist diese Firewall abgeschaltet. Wenn ein Politiker soziale Verantwortung von der Wirtschaft einfordert, gilt er direkt als Kapitalismus-feindlich, weil diese Art von Grenzen zwischen den beiden Ethiken vermischt wurden.
Ethos bedeutete ebenso, dass es Verhaltensregeln gab, eine Art Kodex, sei es in der Politik, der Wirtschaft oder im Finanzwesen. Das heißt, dass wirtschaftlich Mächtige eine Beschränkung ihrer Macht durch die Politik in Kauf nahmen. Es entstand ein Interessenausgleich, die sogenannte Sozialpartnerschaft. In der früheren (keyensianischen) Interpretation der Parteiführung bedeutete es, dass Politiker nicht nur mit einem hohen Selbstvertrauen agierten, sondern dass sie in ihrem politischen Handeln einen Überblick und einen Weitblick besaßen und dass politische Ziele formuliert werden konnten. Dies führte auch zur Organisation von qualitativen öffentlichen Diensten, die im Zusammenhang betrachtet ihre Leistungsfähigkeit mit den Rechten der Staatsbürger widerspiegelten. Das heißt, im Ergebnis dieses Verständnisses von Politik gab es einen Wohlfahrtsstaat mit breiter Anteilnahme für und durch die Bürger.
In der Postdemokratie, also im Neoliberalismus, gibt es ein Gemeinwesen, in dem zwar noch Wahlen abgehalten werden und dazu führen, dass Regierungen ihren Abschied nehmen müssen (siehe Kohl/Schröder 1998 und Schröder/Merkel 2005), in der allerdings konkurrierende Teams von professionellen PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass diese zu einem reinen Spektakel verkommen. Es wird nur noch über eine Reihe von Problemen diskutiert, die diese Experten zuvor ausgewählt und platziert haben. Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passiv schweigende, ja sogar apathische Rolle, die nur noch auf Signale reagiert, die man ihnen gibt. Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik von gewählten Politikern und Eliten, die die Interessen der Wirtschaft vertreten, hinter verschlossenen Türen durchgeführt. 
Das heißt, wie in der alten Konzeption von Parteipolitik gibt es immer noch einen Kern von Parteiführung an der Spitze, gefolgt von Beratern (Lobbyisten) und Parlamentsabgeordneten, allerdings kommt den nachfolgenden aktiven Mitgliedern, Anhängern und Stammwählern und letzten Endes den Zielgruppen immer weniger Bedeutung zu. In diesem Kern der Parteipolitik agieren die Berater als Interessenvertreter mit direktem Zugang zur Wirtschafts- und Finanzmacht in immer höherem Maße der Geheimhaltung. Beschlüsse und Entscheidungen, die teilweise enorme Auswirkungen nach sich ziehen, werden nur noch verkündet. Eine aktive Beteiligung der Identitäten und Interessen findet immer weniger statt. Entscheidungen werden nicht mehr breit diskutiert, sondern in den Medien platziert und am nächsten Tag sind diese Entscheidungen die Wirklichkeit.
Das Verhältnis zwischen Eliten und Bürgern in diesem idealtypischen Bild sieht wie folgt aus. Neoliberalismus ist immer ein Projekt der Eliten, was sich in vielen Ebenen und Bereichen aufzeigt. Ökonomische Theorien sind elitäre Theorien, die im Hintergrund eine manipulative Vorstellung von Gesellschaft haben. Walter Lippmann und Friedrich A. von Hayek haben dies in ihren Theorien genau so formuliert. In der Mont Pèlerin Gesellschaft wird dieses Konzept von Freiheit ebenso formuliert: Ein Elitekonzept, das bestimmte wirtschaftliche Eliten fördert und diese Konzepte durchsetzt. Der Neoliberalismus agiert somit auf verschiedensten Ebenen. 
Das führt dazu, dass diese abgeschotteten Eliten nicht mehr wissen, was die Bürger denken und welche Interessen die Bürger vertreten. Man versucht dies mit Umfragen oder statistischen Zielgruppen zu bestimmen, was allerdings unter manipulativen Voraussetzungen stattfindet, da die Fragen von vornherein schon so gestellt werden, dass nur noch ein vorhersehbares Ergebnis dabei herauskommen kann. 
Fragt man die Bürger nach ihrer Lieblingsfarbe, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich ein breites Farbspektrum daraus ergibt. Stellt man die Frage allerdings so um, dass nur noch zwei Farben zur Auswahl stehen, hat man diese Möglichkeit eines breiten Farbspektrums auf ein Minimum reduziert, da es entweder nur noch die eine oder die andere Farbe gibt. 
Ebenso verhält es sich mit der Wahlwerbung in einem Wahlkampf, da mit einer manipulativen direkten Beeinflussung in den modernen Medien agiert wird. Manchmal erfolgreich, manchmal weniger erfolgreich. Wahlkampagnen werden mit einer extrem personalisierten Politik betrieben, die nur auf den Spitzenkandidaten ausgerichtet ist und nicht mehr auf Sachthemen. 
Dadurch kommt es zu einem negativen Aktivismus beim Bürger. Der Bürger begreift, dass er nichts mehr zu sagen hat. Die politische Aktivität besteht nur noch aus Nörgeln und Schimpfen, allerdings aus einem hohen Moral-Anspruch heraus. Das Tadeln der Politiker wird zur Staatstugend und der Respekt vor ihnen sinkt. Der Bürger verliert in hohem Maß die Möglichkeit, seine Interessen zu artikulieren, weil ihm von der Politik keine Erklärung mehr angeboten wird, was zu Verwirrungen führt. Am besten war dies nach der Krise 2008 zu beobachten. De facto gab es keine Erklärung aus der Politik, um welche Krise es sich überhaupt gehandelt hat. Es gab kein Bild der Krise, was von der Politik erklärt oder vermittelt wurde, und somit auch keinen Diskurs darüber, wie man mit der Krise umgeht.  
Die Interaktion zwischen Staat und Unternehmen kennt als Schlüssel-Institution nur noch global agierende Unternehmen in Form von Konzernen oder Großbanken. Ein Großkonzern ist so strukturiert, dass in der Führungsspitze nur noch ganz wenige elitäre Entscheider sitzen. Diese Headquarter sind personell so stark reduziert, dass man schon nicht mehr von Kernaktivitäten sprechen kann. Alles andere ist ausgelagert, was besonders wichtig bei der Produktion ist. Wenn in einer Apple-Fabrik in China die Menschen dutzendweise vom Dach springen, weil sie die Arbeitsbedingungen nicht mehr aushalten können, dann berührt das die Firma Apple in ihrer Verantwortung überhaupt nicht, da man aufgrund von Auslagerung sich immer darauf berufen kann, dass es sich ja nicht um Apple direkt handelt, sondern um eine Tochterfirma, die in der Verantwortung steht. 
Die Headquarter solcher global agierender Großkonzerne legen als Erstes eine Strategie für langfristige Entscheidungen fest. Als nächstes folgen alle finanziellen Fragestellungen in Bezug auf die Interaktion mit den Finanzmärkten, sprich langfristige Investitionsentscheidungen oder globale Gewinnverschiebungen, um die Steuerlast zu senken. Und als Drittes und Letztes folgt das Marketing. Das wichtigste Außenbild einer Firma ist das Image, ein Branding (Markenname). 
Die Art, wie ein Unternehmen im Neoliberalismus funktioniert, wird zum Vorbild für alle anderen Institutionen. Das bedeutet für die Organisation und Bereitstellung öffentlicher Dienste, dass diese nach marktwirtschaftlichen Prinzipien reorganisiert, sprich kommerzialisiert werden. Entweder durch vertragliche Bindungen an Privatunternehmen (ÖPP) nach vorheriger Ausschreibung eines Projekts, in direkter Umstrukturierung durch Auslagerung gewisser Teile des öffentlichen Dienstes, oder indem die Einrichtung komplett privatisiert (GmbH) wird. Teilweise entstehen durch die Privatisierungsmaßnahmen riesige ineinander verschachtelte Verantwortungsketten. Am Beispiel von British Railway in Großbritannien ist dies sehr gut zu erkennen. Aufgrund der Umstrukturierung der Eisenbahn kam es in der Folge zu schlimmen Unfällen und vielen Toten, da man an den Investitionen in das Schienennetz sparte. Durch die Verschachtelung in Form von Verträgen, Bestimmungen und Funktionen war es sehr schwierig, eine Verantwortlichkeit herzustellen.
Privatisierung hat auch zur Folge, dass die Kunden selektiert werden. Der öffentliche Dienst steht nicht mehr für eine große Allgemeinheit zur Verfügung, sondern nur noch für wenige selektierte Kunden. Die Beziehung der Bürger zu den öffentlichen Diensten verändert sich zu einer Marktbeziehung als Konsument, in der die Bürger keinen Adressaten mehr vorfinden, wo sie eine Beschwerde einreichen können. Wenn früher der Postbote verpflichtet war, den Brief oder das Paket dem Empfänger zuzustellen, obliegt diese Verantwortung jetzt einer global tätigen Dienstleistungsfirma, die nur noch vertraglich gebunden ist und nach marktwirtschaftlichen Prinzipien zu agieren braucht. Die Verantwortlichen müssen sich nicht einmal in Deutschland befinden und können sich somit ihrer vertraglichen Verantwortung oder der gesetzlichen Bestimmung entziehen.
Daraus ergibt sich im Selbstverständnis der politisch handelnden Klasse, dass sie ihr Selbstvertrauen in ihre eigene politische Tüchtigkeit verlieren. Politiker formulieren keine politischen Ziele mehr, sondern verlieren den politischen Über- und Weitblick. Sie definieren sich nicht mehr anhand von Interessen und Identitäten, die einen gravierenden Unterschied zu ökonomischen Ansichten ausmachen. Der Begriff "staatliche Autorität" schwindet und somit ist die alte demokratische Interessenpolitik verloren gegangen und löst sich in ihre Einzelteile auf. Am schlimmsten betrifft dies die neu entstandene Klasse von prekär Beschäftigten, die neben den unsicheren Arbeits- und Angestelltenverhältnissen auch keine politische Bedeutung mehr erhalten. Ein Nährboden für Populismus entsteht, der sich wie eine Welle in Europa ausbreitet.

Von Christian Jakob, Witzhelden/NRW 29.12.2017

Lektorat Ann Porann und Sven Ja