Der Neoliberale Staatsstreich

Die Mont Pèlerin Society - Von der sozialen Marktwirtschaft zur weichen Diktatur


5.0 Neoliberale Rhetorik, Manipulation & Gegenrhetorik

Lohngerechtigkeit, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und freie Märkte - da kann eigentlich keiner etwas dagegen haben, oder?

Die neoliberale Redeführung klingt auf das erste Hinhören stets freundlich und dem Menschen zugewandt. Das mag in der Geschichte des Neoliberalismus begründet liegen, der per Selbstdefinition aus der bürgerlich-libertären Bewegung hervorgegangen ist.

Die Erfahrungen mit massiven staatlichen Eingriffen auf der einen und dem "Manchester-Liberalismus" als negative Erfahrung auf der anderen Seite Anfang des 20. Jahrhunderts brachten diese "freiheitliche" bürgerliche Bewegung hervor, auf die sich die heutigen "Libertären" berufen.

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5.0 Neoliberale Rhetorik

Es sind Begrifflichkeiten, gegen die niemand etwas einzuwenden hätte. Das, was sie wirklich meinen und auslösen, ist jedoch sehr interessant und der Schlüssel zu den Köpfen der Menschen, vor allem im öffentlichen Raum und in den Medien.

Wenn ein Neoliberaler von "Freiheit" spricht, so meint er die "Freiheit der Märkte” - und die beinhaltet im Umkehrschluss auch oft die Unfreiheit oder die Ausgrenzung von Menschen, die nicht an diesen “Märkten” teilnehmen können. Vokabeln wie Lohngerechtigkeit bedeuten im neoliberalen Sprachgebrauch nicht das, was man gemeinhin damit verbindet. Diese Begriffe werden, freundlich klingend, euphemistisch verdreht und so - ohne weiteres Hinterfragen Zustimmung auslösend - zum Kampfbegriff, der Verwirrung auslöst und durch seine beschönigende Verdrehung alle Argumentation ins Leere laufen lässt.

Dieser politische Neusprech beherrscht aktuell die öffentliche Debatte, findet sich in politischen Reden und "Diskussionen", in Polit-Talkshows oder auch in den Äußerungen von Politikern. Das Ergebnis ist am Ende fast immer "Du hast keine Ahnung, um den Sachverhalt beurteilen zu können, wir haben die Kompetenz dazu und wissen besser, was gut für dich ist". Dies zu überprüfen oder zu widersprechen wagen sich viele Menschen gar nicht, da hier sehr oft mit sogenannten “Psychologischen Rutschen“ und dem Begründungseffekt (siehe unten) gearbeitet wird.

Die neoliberalen Anhänger haben ein geschlossenes Weltbild aufgebaut und eine Dialektik auf scheinbar hohem Niveau, gespickt mit euphemistischen Verdrehungen, deren Methodik gar keine anderslautenden Argumente zulässt.  Es ist wenig zielführend sich darauf ernsthaft argumentativ einzulassen, denn ihr Parkett ist jenes der Fassungslosigkeiten, da sie Dinge miteinander verbinden, die nichts miteinander zu tun haben, um Dinge zu verargumentieren, die wiederum mit diesem Frame nichts gemein haben. Sie lassen einen stets ins Leere laufen und nutzen den Moment der Fassungslosigkeit, den sie mit ihren Verdrehungen hinterlassen.

Diesen Mechanismus und noch einige mehr aus der Werkzeugkiste der Transaktionspsychologie sollte man kennen, wenn man mit Neoliberalen in den argumentativen Ring steigt.

5.1. Narzisstische Persönlichkeitsstörung in der Wirtschaft

Eine Erklärung für die neoliberalen Argumentations- und Handlungsmuster mag darin liegen, dass man, je weiter man sich mit Personen befasst, die im Wirtschaftsbetrieb, im Management, in der Finanzindustrie oder/und in der neoliberalen Ideologie leben, umso öfter auf Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung trifft, die nicht selten bis an die Grenze zur Psychopathie oder darüber hinaus geht.

Menschen mit dieser Störung neigen verstärkt dazu, sich selbst darzustellen, sehr von sich eingenommen zu sein und in Positionen zu drängen, die ihnen Ansehen, Einfluss und Geld bringen - kurz, die ihrem extrem gesteigerten Ego Geltung und Bestätigung verschaffen.

Um dies zu erreichen und Menschen auf ihrem Weg dorthin zu instrumentalisieren, nutzen Menschen mit narzisstischer Störung ihre extrem ausgeprägte Fähigkeit, andere zu manipulieren. Schon um diese Manipulationen zu verschleiern sind weitere Manipulationen und Machtmittel notwendig.

Narzissten und Psychopathen verfügen in der Regel über wenig bis kein Mitgefühl und besitzen nicht die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflektion. Auch mangelt es ihnen an Empathie, Skrupel und der Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Sie würden aus diesem Grunde auch niemals einen Therapeuten aufsuchen, da sie ihren Narzissmus unmittelbar mit ihrem Erfolg assoziieren.

5.2. Die nichtwissenschaftliche Wurzel der neoliberalen Rhetorik

Schauen wir uns als einen zentralen Satz der neoliberalen Schulen, ihrer Dialektik und der daraus resultierenden Rhetorik noch einmal folgende Positionierung der "Wiener Schule" an:

Zitat (siehe Quellennachweis)

"Die Österreichische Schule ist der Ansicht, dass Theorien infolge der „Theoriegebundenheit der Daten“ nicht eindeutig durch Geschichte oder Empirie falsifizierbar seien. In der Praxis ging der Erkenntnisskeptizismus der neueren österreichischen Schule weit über den kritischen Rationalismus hinaus. Friedrich von Hayek hat nie versucht, seine Theorien empirisch zu überprüfen. Er rechtfertigte dies damit, dass nur bei simplen Theorien, nicht aber bei komplexen Phänomenen - wie Hayeks Arbeiten - ein empirischer Test möglich sei."

Eine solche Position wäre selbst aus Sicht eines Vertreters des kritischen Rationalismus unhaltbar. Dies wiegt umso schwerer, als Hayek praktische Probleme lösen wollte. Hier ist es offensichtlich unlogisch, bei einem per se-Urteil stehen zu bleiben ohne die konkrete Wirkung zu testen.

Ich spreche ab diesem Zitat bewußt nicht mehr von einer exakten Wissenschaft der "Ökonomie" und behandle diese auch nicht mehr als eine solche.  Sie hat sich schon in dem anfänglichen Bemühen, sich mittels ihrer zentralen, begründenden These als Wissenschaft zu platzieren, von der Wissenschaftlichkeit verabschiedet. Hayek schließt darin die Überprüfung mittels akademischer erkenntnistheoretischer Werkzeuge an seinen Thesen aus, indem er den bewährten wissenschaftlichen Werkzeugen abspricht, These-Antithese-Synthese und empirische Beweisführung auf ökonomische Belange anwenden zu können.

Gemäß dem erkenntnistheoretischen Werkzeug “Hitchens Rasiermesser“ kann ohne Beweis verworfen werden, was ohne Beweis behauptet wurde. Die neoliberale Ökonomie kann im akademischen Sinne also für obsolet erklärt und ihr sämtliche akademische Evidenz und Glaubwürdigkeit abgesprochen werden.

Der akademische Widerspruch des Neoliberalismus findet sich in der neoliberalen Rhetorik als argumentativer Widerspruch wieder. Das macht ihre Argumentation so schwer greifbar, da man in ein argumentatives Vakuum läuft. Darin liegt auch meine persönliche Erfahrung und Beobachtung begründet, warum Neoliberale oft einer schriftlichen Diskussion aus dem Wege gehen. Da nachlesbar wird, wie sie momentan agieren, wird ihre Rhetorik deutlich schneller angreifbar.

Da die Ökonomie sich als evidente Wissenschaft darstellt und es durch interne akademische Selbst-Akkredititierung geschafft hat, sich Glaubwürdigkeit zu erschleichen, akademische Werkzeuge der Beweisführung jedoch mit der Begründung negiert, diese würden der Komplexität der neoliberalen Schulen nicht gerecht, argumentiert man in ein argumentatives Paradoxon.

Die neoliberalen Antworten klingen, als wäre die Materie schlichtweg zu kompliziert. Darin mag der Grund liegen, warum sich Neoliberale oft der schriftlichen Diskussion entziehen, da ihre Rhetorik mit ihren Widersprüchen im "gefrorenen" Zustand schnell offenbar, weil nachlesbar, wird.

Der Trick besteht darin: Sie behaupten etwas, das nicht funktioniert, stellen es in einen neuen Rahmen und begründen es mit Dingen, die nicht stimmen. Das Ganze in einer Sprache, die einem das Gefühl vermittelt, man hätte keine Ahnung.... Kurz gesprochen: Wer sich auf deren rhetorisches Parkett begibt, kann nur verlieren, da ihre “Logik“ von Euphemismen geprägt ist.

Man diskutiert mit diesen Leuten am Ende über Definitionen statt über Sachzusammenhänge. Die neoliberalen Anhänger haben ein geschlossenes Weltbild und eine Dialektik auf scheinbar hohem Niveau aufgebaut, gespickt mit euphemistischen Verdrehungen, deren Methodik gar keine anderslautenden Argumente zulässt.

Es hat eine rhetorische Argumentation stattgefunden, wie man sie von anderen Ideologien wie dem Marxismus, dem Nationalsozialismus oder den Antideutschen kennt.

5.3. Manipulationsmethoden

Es gibt eine Vielzahl von Methoden, einzelne Menschen, Gruppen, ja eine ganze Gesellschaft zu manipulieren. Diese Techniken sind meist sehr niederschwellig und subtil. Das macht sie so gefährlich.

Wer sich damit befasst ist meist zutiefst erschrocken, wie simpel und dadurch unmerklich diese Techniken funktionieren. Meist stellt man sich darunter besonders raffinierte psychologische Tricks oder groß angelegte Beeinflussungskampagnen vor. Manipulationsmethoden bedienen sich aber meist der Erkenntnis und Ausnutzung von ganz "normalen" psychischen und wahrnehmungspsychologischen Prozessen in jedem von uns.

5.3.1. Framing & ReFraming

Manipulation beginnt bei einer sehr einfachen Technik, dem sogenannten Framing (Rahmung). Man kann sehr einfach die Wahrnehmung bestimmter Sachverhalte verändern oder den Rückschluss lenken, wenn man diese Sachverhalte in einen anderen Zusammenhang stellt.

Dies ist etwas, was wir alltäglich beobachten können. Ein Beispiel des Videoblogs "Wortgucker" zeigt an einfachen Beispielen, wie das funktioniert. Was hinterlassen folgende Aussagen zu ein und demselben Sachverhalt bei Ihnen für ein inneres Bild, eine Haltung, einen Betrachtungswinkel?

Beispiel Flüchtlinge:

Aussage 1: "Flüchtlinge in Deutschland - Gerichtskosten für Asylklagen steigen"
Aussage 2 : "Behörden in Deutschland - Rechtsverstöße der Asylbehörden lassen Kosten steigen"

Beispiel Energiekosten:

Aussage 1: "Energiewende treibt Strompreise in die Höhe"
Aussage 2: "Erneuerbare Energien finanzieren Kohle und Atom"
Aussage 3: "Steuern und Umlagen für Strom steigen ungebremst"

Auch ein klassischer Anlass für Framing ist das leidige Thema "Israelkritik". Sie mag berechtigt sein was die politische Ebene angeht, wird aber von Judenfeinden gerne für eine Rahmung verwendet, um versteckt ihren Hass zu platzieren.

Aussage 1: "Jüdischer Staat unterdrückt Palästinenser.
Aussage 2: " Israelische Politik nimmt Palästinensern ihre Rechte.

Arbeitslosigkeit: Aussage 1: "Jeder, der will, findet Arbeit" (Framing mit Schuldumkehr)
Aussage 2: "Es gibt kein Recht auf Faulheit"
Aussage 3: " 4,5 Millionen Arbeitslose stehen 400 000 offenen Stellen gegenüber"

 

Bild von EvgeniT/Pixabay 2018

5.3.2. Manipulation durch Sprache und Sprechverbote

Sprache prägt das Denken, da neben der Ebene der bloßen Kommunikation Wertvorstellungen, Weltsicht, die eigene und die fremde Positionierung transportiert werden. Das macht Sprache zu einem universellen und sehr einflussreichen Machtmittel.

Auch im Wahlkampf wird die Macht der Sprache eingesetzt. Wer sie kontrolliert und die Definitionshoheit über die Be- und Umdeutung von Begriffen erringt, kann seine Ziele besser durchsetzen, ganze Themen aus der Wahrnehmung heraushalten oder negativ belegen. 

So wurde durch das Wort “Hartz IV-Empfänger” ein negativer Frame für den Begriff “Arbeitslose” gesetzt, der sich auch auf die davon betroffenen Menschen überträgt und die Menschen selber für ihre Situation verantwortlich macht (Barnum Effekt s.u., Schuldumkehr). Dieses simple Wording und wie dafür gesorgt wurde, es im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern, dürfte die Ursache sein, warum sich so wenig Menschen gegen das massive Unrecht innerhalb des SGB II auflehnen und warum heute knapp die Hälfte der Bevölkerung davon überzeugt ist, dass die Betroffenen zu faul und selbst für ihre Situation verantwortlich sind.

Daraus resultiert im Umkehrschluss ein Denk- und Sprechverbot, denn wer diese Widersprüche benennt, wird selber mit der oberen Attribution versehen. Und wer will das schon?

Kennzeichnend ist auch der aktuelle (2018) inflationäre Gebrauch, Menschen, Ansichten oder gar Träger kritischer Haltungen als “rechts” zu attributieren, die weder rechts noch antisemitisch sind. So versuchten in der Vergangenheit die neoliberalen Transatlantiker und die antideutsche Sekte innerhalb der Linken, die Proteste gegen die Privatisierung von Wasser, gegen TTIP und CETA sowie Glyphosat als rechts, Nazis oder auch neurechts zu etikettieren und somit indirekt Sprachverbote zu errichten. Wer ist schon gerne in der rechten Schmuddelecke?

Das derzeit (2018) interessanteste Sprechverbot ist, die Kritik am US-amerikanischen Bankensystem mit Antisemitismus gleichzusetzen. Die amerikanische Zentralbank (FED) zwang durch den Federal Reserve Act alle Banken, die in den USA eine Lizenz haben wollten, einen Anteil an der FED zu erwerben und einen Vertreter in die Aufsicht zu entsenden. Aus den Zwängen der Geschichte waren dies nun einmal überwiegend Bankhäuser, die aus jüdischen Familiendynastien hervorgingen. 

Erst betrieb aus diesem Umstand die deutsche bürgerliche Rechte die Konstruktion der “jüdischen Weltfinanzverschwörung”, welche später die Nazis in Deutschland zu einer ihrer wichtigsten Propagandathesen aufbauten. 

Wer nun Kritik an dieser Geldpolitik äußert und die Verbindung zwischen den Tatsachen herstellt, dass die FED Geld ohne Gegenwert “drucken” kann, solange sich die USA im Kriegszustand befinden und dass die USA am meisten Kriege führt, meist mit hegemonialen Absichten, muss folgerichtig ein Antisemit sein. Klingt logisch, oder?

5.3.3. Schuldumkehr, Täter-Opfer-Umkehr

Der Begriff kommt originär aus den USA und wird mit "Victim Blaming" übersetzt. Victim Blaming fand in Bezügen zu Vergewaltigungen, rassistischen Übergriffen und gemeinhin bei Gewalttaten Anwendung. Hier wird dem Opfer die Schuld für das Geschehene gegeben. So lastet der Vergewaltiger der Frau an, sich "aufreizend angezogen" oder sich "auffordernd verhalten" zu haben. 

Mitglieder rechter Parteien behaupten, gern mit Verweis auf die Unterdrückung "Andersdenkender", auf die Äußerung, sie oder ihre Partei sei ja "braun", dass man ja selber braun sei. In der neoliberalen Rhetorik finden sich Entlehnungen dieser Art wieder, meist gepaart mit Framing.

5.3.4. Nudging

Nudging bezeichnet eine Technik des "sanftes Schubsens" oder "Anreizens". Dabei wird der Zugang zu einer missliebigen Option erschwert oder negativ dargestellt, während die erwünschte Option durch besseren Zugang erleichtert wird. Im positiven Gebrauch stellt man z.B. in "gesunden Kantinen" Obst und Salat besser erreichbar nach vorn, während Süßes weiter nach hinten gestellt wird. Die Kantinenbesucher wählen zu fast 100% Obst und Gemüse.

Im weiteren Sinne fällt das neoliberale "alternativlos" in genau diese Kategorie.  Werden strengere Regelungen z.B. für die Zeitarbeit angemahnt, wird oft schnell der Teufel des Verlustes von Arbeitsplätzen an die Wand gemalt. Auch das kann man als Nudging einordnen.

5.3.5. Positive Umkehr

Hierbei handelt es sich um eine einfache Suggestionstechnik, die oft in der Moderation verwendet wird, um Teilnehmer auszubremsen oder ihnen die Gesprächsinitiative zu nehmen. Ein Beispiel: Ein Diskussionsteilnehmer hat Lücken in seiner Argumentation oder vergreift sich im Ton, so kann folgender Hinweis Wunder bewirken: "Also Herr XX, da sehe ich aber noch erhebliche Lücken in Ihrer Argumentation, so wie ich Sie kenne, können Sie das besser!". 

Dagegen, dass man etwas besser machen kann, mag kaum jemand etwas sagen und auf den ersten Blick ist es ja sogar zutreffend. In der Regel ist mit weiteren Widerworten nicht zu rechnen und man hat einen Raum der Fassungslosigkeit geschaffen, über den der Umkehrer nun die Initiative des Gespräches an sich ziehen kann.

5.3.6 Derailing

Diese Technik verfolgt den Zweck, den Gegenüber vom eigentlichen Thema abzulenken oder eine missliebige Diskussion abzuwürgen.  Das klassische Beispiel schlechthin findet sich meist in Diskussionen, in denen es sich um rechte Gewalt handelt. Es findet sich gewiss jemand in diesem Zusammenhang, der lieber über linke Gewalt reden möchte und dies auch mit Nachdruck in die Diskussion drückt.

Die Folge: Hat man es mit Menschen zu tun, die in solchen Techniken ungeübt sind, ist das Gespräch an dieser Stelle "aus den Gleisen" geraten, die Diskussion zerstört. Man findet Derailing am deutlichsten in Diskussionsspalten im Internet.

Ein weiteres Beispiel: Eine Talksendung z.B. zum Thema Arbeitslosigkeit. Ein Teilnehmer führt an, dass es gar nicht genügend Stellen für alle gibt und erntet Zustimmung. Der Vertreter der Arge hält dagegen, dass es "kein Recht auf Faulheit gibt und man Sozialmissbrauch im Namen des hart arbeitenden Steuerzahlers stringent verfolgen wird".  Plötzlich dreht sich das Gespräch um Sozialmissbrauch und die vorgeblich faulen Arbeitslosen. In diesem Falle paart sich Derailing mit Reframing.

5.3.7. Whataboutism

Diese Technik antwortet auf Kritik oder komplexe Fragen mit einer rhetorischen Gegenfrage, um den Gegenüber zu diskreditieren oder seine Argumente zu widerlegen, ohne sich auf eine sachliche Diskussion einzulassen. 

Das platteste Beispiel kam mir im Verlauf der im Westen als Annexion gesehenen Wiederangliederung der Krim an Russland im Internet unter. Auf die Aussage eines Diskutanten, Russland hätte die Krim besetzt, kam die Frage, was denn die USA 18XX mit Hawaii gemacht hätten und ob das keine Annexion war.

Whataboutism kann man auch schon bei Kindern sehen. "Komm, zieh mal die Schuhe aus, du machst ja alles dreckig!" Antwort: "Aber Jan Peter hat seine Schuhe auch immer drinnen an!"

Nebst seiner Verwendung als rhetorisches Mittel kann Whataboutism als Mittel der Propaganda und der Einschränkung von Kritik angewendet werden. Ein Beispiel dafür ist das Gefangenenlager Guantanamo: Es wird als notwendiger Raum angesehen, um mittels "erweiterter Verhörmethoden" "Terroristen" zu Geständnissen zu bewegen, während Gefangenenlager in anderen Zusammenhängen als "Gulag" oder "Folterlager" bezeichnet werden.

5.4. Psychische Prozesse, die für Manipulationsmethoden genutzt werden können

5.4.1. Hawthorne-Effekt:

Der Hawthorne-Effekt besagt, dass sich Menschen anders als normal verhalten, wenn sie wissen, dass sie z.B. an einer Untersuchung oder einem Versuch teilnehmen. Er zeigt auch auf, dass sich Produktivität nicht nur durch Arbeitsbedingungen verbessern läßt, sondern vor allem durch soziale Faktoren.

Entdeckt wurde dieser Effekt, als man Arbeitern der Hawthorne-Werke eine andere Beleuchtungssituation zur Verfügung stellte. Ihre Arbeitsleistung verbesserte sich. Allerdings verbesserte sich ebenfalls die Leistung der Kontrollgruppe, die keine verbesserte Lichtsituation bekommen hatte. Die guten Ergebnisse der Versuchsgruppe blieben erhalten, als diese in die ursprüngliche Situation zurückkehrten.

Daraus schloss man, dass die Anwesenheit der die Studie durchführenden Wissenschaftler und Assistenten als Beobachter der Grund war. Es lag also eine soziale Motivation vor.

5.4.2. Begründungseffekt:

Menschen reagieren positiv auf Begründungen, um etwas zu erreichen, z.B. bei einer Warteschlange vorgelassen zu werden. Dabei spielt die Formulierung eine große Rolle.

Bei der richtigen Wortwahl (z.B. mit der simplen Verwendung des Wörtchens “weil”) konnte beim "Kopiererversuch" bei 94% aller Wartenden ein Vorlassen erreicht werden.

Dies funktioniert mit sogenannten tautologischen Begründungen erstaunlicherweise am besten. Ein Beispiel für eine einfache tautologische Formulierung wäre "Es regnet, weil es regnet" oder die verneinde Haltung Konservativer gegenüber der logisch richtigen Legalisiserung von Cannabis, mit der Begrund "Es ist verboten, weil es illegal ist"

5.4.3. Priming-Effekt:

Priming beschreibt den psychischen Prozess, dass ein erstmalig gesetzter Reiz, der z.B. positiv assoziiert wird, die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die nachfolgenden Reize ebenfalls positiv empfunden werden.

Dieser Effekt kann ausgenutzt werden, um Menschen nach genügend positiven Triggern dazu zu bringen, Dingen zuzustimmen, die er sonst eher verneint hätte.

5.4.3. Rezenz-Effekt:

Der Rezenz-Effekt findet im Kurzzeitgedächtnis seinen Niederschlag. Jede später eingehende Information hat einen größeren Effekt als früher eingegangene Informationen, wenn der Triggerimpuls stark genug ist. In diesem Falle widersprechend zum Priming-Effekt.

5.4.4. Barnum-Effekt:

Er beschreibt das Phänomen, dass Menschen unscharfe und vage Informationen, die sie von anderen Personen über andere bekommen, als zutreffend empfunden werden. 

5.4.5. Pygmalion- und Rosenthal-Effekt:

Er beschreibt den Vorgang, wie sich positive Vorwegnahme auswirkt. Wird einem Lehrer, der eine Klasse übernimmt, gesagt, die Schüler seien sehr gute Schüler, so wird sich aufgrund der Vorwegnahme dieses auch bestätigen, da der Lehrer unbewußt dieser Vorwegnahme folgt, und sich die Leistungen der Schüler entsprechend entwickeln. Dies funktioniert auch bei Kontrollgruppen mit weniger guten Schülern.

Der Pygmalion-Effekt funktioniert sogar bei guten Schülern negativ, bei entsprechender “Impfung” des Lehrers.

5.4.6. Halo-Effekt:

Der Halo-Effekt beschreibt eine kognitive Verzerrung, die bei der objektiven Beurteilung von Sachverhalten unbedingt zu vermeiden ist. Sie bewirkt eine Übertragung von Eigenschaften einer bekannten Person auf eine andere, von den (angenommenen) Eigenschaften einer Gruppe auf Ihre Mitglieder.

Auch wenn einzelne Eigenschaften stärker in den Vordergrund der Wahrnehmung rücken, andere dadurch vernachlässigt werden, und die Person mit den primär wahrgenommenen Eigenschaften verbunden wird, spricht man vom Halo-Effekt.

So assoziieren viele Menschen langhaarige Männer mit Arbeitscheuheit und Drogenkonsum, selbst wenn andere Eigenschaften zu erkennen sind, und verbinden die betreffende Person dauerhaft damit.

Ein positiver Halo-Effekt liegt vor, wenn z.B. intelligent und eloquent wirkende Person B mit Person A befreundet ist. Die meisten Menschen nehmen Person A daraufhin ebenfalls als klug und redegewandt wahr.

5.4.7. Zeigarnik-Effekt:

Der Zeigarnik-Effekt stellt fest, dass sich Menschen eher an unfertige Dinge erinnern als an das, was sie zu Ende gebracht haben.

5.4.8. Attribution:

Attribution, auch Attributierung, Vereigenschaftlichung oder Etikettierung, beschreibt, wie angenommene oder tatsächliche subjektive oder soziale Zuschreibungen von Eigenschaften, Zuständen, Handlungen und Ursachen einer Gruppe auf alle Zugehörigen einer Gruppe übertragen werden. Attributionen werden häufig als Wirklichkeit angenommen und lassen daraus künftiges Verhalten von Personen aus dieser Gruppe vermeintlich plausibel begründbar werden.

Es gilt Ähnlichkeiten, aber auch Abgrenzungen zum Halo-Effekt zu beachten.

(Anmerkung CW: Sollte jemand eine weniger abstrakte aber dennoch kurze Beschreibung dieses Effektes parat haben so bitte ich darum!)

5.4.9. Psychologische Rutsche

Dies beschreibt den Prozess des unreflektierten Annehmens und im wahrsten Sinne des Wortes automatischen kognitiven “Durchrutschens“ von Behauptungen. Voraussetzung dafür ist, dass die Begründung auf das erste Hinhören plausibel escheint oder der Behaupter vorgeblich, aber glaubhaft einen Expertenstatus aufbauen kann (siehe Begründungseffekt).

Letzteres kann auch durch komplizierte Formulierungen erreicht werden, die eine wissenschaftliche Fassade vortäuschen und deshalb gar nicht erst hinterfragt werden. Hat derjenige, der eine solche Behauptung aufstellt, dazu noch den Expertenstatus, sinkt die Bereitschaft des Hinterfragens nahezu gegen Null.

5.3.10. Psychologische Umkehr

Die psychologische Umkehr beschreibt einen Prozess, dem viele Menschen erlegen sind. Er äußert sich in negativen Glaubenssätzen wie  “...immer misslingt mir das”, “...das schaffe ich sowieso nicht!”, “ich weiß das sowieso nicht”, “das ist so schwer…”.

Diese negativen Glaubenssätze eignet man sich unfreiwillig durch Traumata, posttraumatische Belastungsstörungen bzw. schon durch lang anhaltende Verkettungen negativer Geschehnisse an, die sich dem eigenen Zugriff entziehen.


Von Christian Gielow, Hamburg 25.02.2018

Lektorat Ann Porann und Sven Ja

Bild von Yomare/Pixabay 2018